Ein Elch auf der Schiene 

Heide lebt in Schweden, etwa auf halbem Weg zwischen Göteborg und Stockholm. Diese Tatsache allein ist nichts Besonderes. Wohl aber, dass Heide eine Reise von rund 1500 Kilometern unternimmt, um an den Ferienkursen im Montafon teilzunehmen – und dies seit Jahren. Auch diesen Sommer.

Nur diesmal war es etwas anders: Wir waren alle schon im Hotel, als uns Heide per Mail mitteilte, dass sie erst einen Tag später ankommen würde. Der Zug, in dem sie sass, hatte einen Elch gerammt, der auf der Schiene stand. Mit schlimmen Folgen für den Elch – aber auch für den Zug, der vier Stunden mitten im Wald steckenblieb und abgeschleppt werden musste. Die Odyssee, die daraufhin folgte – mit verpasstem Bus und Flug, schweren Koffern, defekten Rolltreppen, unfreundlichem Personal und einem dreimal so teuren neuen Flugticket – beschrieb Heide in ihrer Mail so galgenhumorvoll, dass dies beim Vorlesen für grosse Heiterkeit sorgte.

Auch wenn sie einen Tag des Workshops verpasste, erlebte Heide in unserer frohen Runde noch viel Freude und war froh, die Reise trotz des unschönen Beginns dennoch angetreten zu haben. Also ein Happy End – ebenfalls für den Elch, da wir annehmen, dass es auch für ihn einen Himmel gibt.

Eigentlich wäre die Geschichte damit zu Ende. Doch sie ging mir nicht aus dem Kopf und bekam beim Nachsinnen eine symbolhafte Bedeutung:

In jungen Jahren ärgerte ich mich oft masslos, wenn mir beim Zeichnen etwas nicht gelingen wollte. Das war «der Elch auf der Schiene», der sich anmasste, meinem Erfolg im Wege zu stehen! Ich versuchte dann jeweils, einfach stur weiterzufahren. Das kam meist nicht gut und endete oft zu nächtlicher Stunde mit roten Augen und einer missratenen Zeichnung.

Als ich älter wurde, verabschiedete ich mich vom Wunsch, auf der geraden Schiene, die mein Verstand durchs Leben legt,  möglichst schnell ans Ziel zu kommen. Ich verlangsamte meine Fahrt, weil ich verstand, dass der Elch nicht ohne Grund auf der Schiene steht. Er hat eine Botschaft für mich, und die verpasse ich, wenn ich ihn einfach überfahre.

Ich lernte, mit dem Elch auf der Schiene Frieden zu schliessen und ihm zuzuhören, wenn er auftaucht. Er ist dann zufrieden, geht seines Wegs, und ich kann weiterfahren. Vielleicht etwas später als geplant, aber dafür ohne energie- und zeitraubende Kollision.

Wie so oft gewann ich auch hier wieder auf dem kleinen Spielfeld des Zeichenpapiers eine Erkenntnis für das grosse Spielfeld des Lebens.

Matto

Der grosse Elch im hohen Norden
ist vom Zug gemeuchelt worden.
Doch der Elch hat – Gott sei Dank!
den Schwedenbitter-Zaubertrank.
Er trinkt den Trank, den er so liebt,
jetzt da, wo’s keine Züge gibt.

Cartoonschule „da Matto“
Atelier & Büro: Spiegelacker 1
Kursraum: Tösstalstr. 100
8486 Rikon (Anfahrt hier)

Kontakt
+41 (0)62 775 16 14
+41 (0)79 719 22 44
info@cartoonschule.com

Infos
© Cartoonschule “da Matto”
Impressum | Datenschutz
AGB’s
Newsletter